DIETHARD LEOPOLD | Zwischen Spiel und Durchdringung. Eine Bemerkung zur Foto-Serie „Schwimmer“ von Marko Zink
Da kommt – nur ein Beispiel von mehreren – ein japanischer Sonnenschirm ins Bild, von oben driftet er durch ein dunkler werdendes Blau. Noch haben wir die Bilder des Tsunami vom März 2011 vor Augen. Aber auch ohne diesen Kontext wird man fragen, was ein Sonnenschirm unter Wasser verloren hat. Er wird jedenfalls niemanden mehr behüten, niemanden mehr beschirmen können, wenn das, wovor er schützen könnte, rund um einen ist und alle Fugen und Zwischenräume ausfüllt. Eine Reminiszenz an ein Haiku von Basho drängt sich auf, in dem „die Augen der Fische voller Tränen“ sind. Das ist ein schönes, trauriges Bild, das zugleich ganz unmöglich ist. Und auch dieser Schirm, der an eine Katastrophe erinnert, ist ein schönes, nachdenkliches Bild, erzeugt einen nostalgischen Augenblick, macht eine vergebliche Bewegung, wie er so sinnleer durchs Wasser driftet und wohl bald in der Dunkelheit des tiefer werdenden Blaus verschwunden, von ihr verschluckt sein wird. Tod und Leben, Schönheit und Schreckliches sind hier verwoben.
Ein Augenblick geradezu überirdischer Schönheit wird evoziert. Auch dies nur ein Beispiel von mehreren, wenn ein feiner, weißer Stoff durchs Wasser driftet und auf einmal, für eine nur ganz kurze Weile, die Form einer großen, prachtvollen Muschel annimmt. Hier ist die Zeitlichkeit der Formen, hier ist die Unbeständigkeit aller Existenz evident. Die Formen sind, das zeigt uns Marko Zink, im Werden – auch wenn die menschliche Wahrnehmung, um dies zu erfassen, immer entweder zu langsam oder zu schnell ist. Dass die Formen von Existierendem nichts statisches sind, sondern im Fluss, im Fließen sich befinden – manchmal in einem sehr, sehr langsamen und lang dauern- den, etwa in jenem, den man die Evolution der Arten nennt – hier wird das greifbar und fühlbar. Starre Form und fließende Vergänglichkeit, das Bestehen auf ein Ich und der unausweichliche Fluss der Zeit, der alles mitnimmt und verwandelt, sind hier sinnlich übereinander gelegt wie zwei durchscheinende Bilder, die zusammen ein einziges Thema ergeben: „Ohne Illusion keine Erleuchtung, ohne Erleuchtung keine Illusion.“
GÜNTER SCHÖNBERGER | Im Aquarium der Kunst
Marko Zink verknüpft in seiner Werkserie schwimmer die Stilmittel der Fotografie mit denen der Kinematografie. Die Sujets sind im klassischen Sinne Fotos, insofern sie eine Entzeitlichung durch die fotografische Fixierung des Moments – die Belichtungsgegenwart – erfahren. Und dennoch wollen sie spür- und sichtbar zu keinen Stillleben werden, sondern muten vielmehr als „stills“ an, als Einzelbilder einer prozessualen Ablichtung, wie sie in der Kinesis der analogen Filmkunst geläufig ist. Im Oscar-prämierten Drama „American Beauty“ (1991, Sam Mendes) kommt ein kurzer Film im Film vor, der vom jungen Hauptdarsteller gedreht wurde: Für eine Minute darf das Kinopublikum den tänzelnden Schwebefiguren eines Plastiksackerls im Wind folgen – eine der zartesten und eindringlichsten Szenen des ganzen Spielfilms. Der Zauber dieser kleinen Sequenz ist unmittelbar und zeigt, wie unprätentiös und dinglich Schönheit gelingen kann. Dieselbe Reduktion auf das Wesentliche der Inszenierung verleiht den Fotos von Marko Zink eine bestechende Ästhetik.
BETTINA SCHULZ | Panta Rhei
Eine weitere Serie unterstreicht das Ansinnen Zinks, die Fotografie als Weiterentwicklung der Malerei zu begreifen: »Schwimmer« versetzt den Betrachter in eine bizarre Unterwasserwelt, die Vorstellungskraft einfordert. Kleidungsstücke schweben, Schuhe wirken wie zufällig abgestellt – ist dort ein Mensch oder nur Hülle? Entstieg das Kleid tatsächlich dem Koffer? Es sind Bilder zum Weiterdenken und eintauchen, ein Spiel mit Unschärfen und Kontrasten, überwältigender Sättigung und leisen Tönen.
MATTHIAS HERRMANN | Ist es so?
So ist es natürlich nicht. Diese Bilder erzählen mehr von dem, was wir nicht sehen, als von dem, was sie preisgeben. Sie sind merkwürdig schweigsam, unberedt, nicht geschwätzig, trotz ihrer üppigen Farbigkeit still, fast stumm. Etwas fehlt, und natürlich ist man geneigt zu glauben, der Mensch als Träger (von Bedeutung, von Zuschreibung oder auch nur von Kleidung) sei das fehlende Element. Aber dem ist nicht so: was den Eindruck von Flüchtigkeit, von einer leeren Mitte hinterlässt, ergibt sich aus der Art, wie Marko Zink seine Bilder arrangiert, wie er mit Präsenz und Absenz spielt – und nicht daraus, was wir gerade sehen oder eben nicht sehen. Es sind klassische Kompositionen, die ein Subjekt vermuten lassen, das aber nicht (mehr) da ist. Die Bewegung des Wassers stattet die treibenden Kleider mit einem flüchtigen Volumen aus, hier scheint sich ein Körper anzudeuten, dort hat er seine Kleidung gerade abgelegt, die am Grund stehenden Schuhe wirken wie eben erst abgestreift. Zink appelliert an unsere Vorstellungskraft wie wir das eher von Malern, als von Photographen kennen. Die Kleidungsstücke im Meer flirren wie optische Täuschungen einer Fata Morgana, sind da, aber auch gleich wieder weg.
AUSSTELLUNGSANSICHTEN | Valie Export Kubus, Österreich
PROJEKTIONEN DER SERIEN | schwimmer | fremd | burka
AUSSTELLUNGSFOTOS | Gerd Franz Josef Winkler
INSTALLATION | Chinesisch – Europäische Kulturwoche in Foshan City, China
AUSSTELLUNGSFOTOS | Interculture Guangzhou
AUSSTELLUNGSANSICHTEN | Galerie Michaela Stock, Österreich | Suite Franziska Hausmaninger, Österreich
AUSSTELLUNGSFOTOS | Matthias Bildstein