ESTHER MLENEK | Land Unter
Hier stemmen sich zwei abgekämpfte Zelte gegen den Sturm, liegt ein weitgereister Koffer apathisch am Grund, dahinter ein Trauerkleid in Schockstarre, dort eine reichbehangene Perlenkette, die sich eilig aus der Szene stiehlt. Die ertränkten Gegenstände wirken mitgenommen, desorientiert, vereinsamt. Mancherorts mit zartem Feingefühl, dann wieder mit auffälliger Symbolik, thematisiert Marko Zink in seinen Unterwasserserien die krisenhaften Erfahrungen in Transformationsgesellschaften, die verstören, weil nichts mehr verlässlich ist, weil nicht Kontinuitäten, sondern Brüche auffällig sind. Er fügt einzelne Bilder zu einem größeren Narrativ zusammen, das immer aktuell und somit auch politisch gelesen werden will. Diesen Fokus teilt er mit einer Vielzahl professioneller Fotografen, jagt jedoch nicht nach dramatischen Aufnahmen und Stereotypen.
Zink positioniert sich bereits mit burka (2010) abseits des derzeit verbreiteten „refugee porn“, lenkt den Blick weg von Einzelschicksalen, hin zu einer allgemeinen Erzählung. Dabei gleicht die Mehrzahl seiner Arbeiten ethnographischen Inszenierungen, die einer bedrohlichen Geschichte eine fast wehmütige Poesie abgewinnen. Der Gleichklang an Wehmut und Poesie ist nicht nur den farbenfrohen, jenen entweder so sorgsam in den Sand gepflanzten oder doch beliebig ins Wasser geworfenen, einsam dahinschwebenden Artefakten zu verdanken, sondern auch Marko Zinks Unterwasserszenerie und seiner fotografischen Methode. Wasser, Element der Sehnsucht und der Angst, glatter Meeresspiegel, stürmische See, mystische Projektionsfläche, unbezwingbare Naturgewalt, ein Eintauchen darin ist immer begleitet von archaischen Bildern des Untergehens aber auch der Neugeburt. Bildanschnitte und entschiedene Unschärfe lenken den Blick zudem auf eine Welt, die Atlantis, Niemandsland, Zwischenraum ist und sich so unterschiedlichsten Imaginationen öffnet.
MARIA MAGDALENA PRESSEL | Fremd
In „FREMD“ nähert sich Marko Zink dem Thema der Unterwasseraufnahmen in einer differenzierteren Art und Weise. Zink greift die Unbeständigkeit aller Existenz der Serie „SCHWIMMER“ erneut auf. Doch diesmal erfährt die Thematik der Verfremdung und Verwandlung menschlich geprägter Objekte, eine weitere und tiefere Bedeutung und Umdeutung.
Der Künstler entführt uns in eine neue Unterwasserwelt und zieht uns hinab in die unbekannte Tiefe. Fischernetze werden zu einem Theatervorhang, der sich für einen ersten Akt für uns zu lüften scheint und den Meeresgrund als Bühne offenbart. Wie das Bestreben des Fotografen, einen Moment einzufangen, bleiben auch in diesen Netzen Momente und Erinnerungen hängen. Nicht zufällig begegnet dem Betrachter ein weißer Hase in den Tiefen des Ozeans. Gleichsam wie Alice in „Alice’s Adventures in Wonderland“ folgen wir ihm hinab durch ein Wurmloch in eine paradoxe Traumwelt, in welcher sich sowohl der Hase als auch der Zuschauer scheinbar mühelos bewegen können.
Diese Verfremdung führt Zink mit dem „Auftritt“ eines chinesischen Glücksdrachens weiter. Das Fabelwesen zahlreicher Kulturen, erfährt hier gleich eine doppelte Neuinterpretation, wie der Titel „Riemenfisch“ veranschaulicht. Der bis zu 11 Meter lange Tiefseefisch, scheint der Ursprung vieler alter Legenden zu sein. Das harmlose Schöne erfährt hier eine erste Umdeutung. Der ungefährliche Knochenfisch wird durch die Erzählungen der Menschen zu einem mächtigen Fabelwesen. Zink führt uns von dieser Interpretation wieder zurück zum Harmlosen – er wird er zum papierenen, farbenprächtigen Glücksdrachen.
Die von Menschen geprägten Objekte erwachen in „FREMD“ zu ihrem eigenen, neuen Leben. Während bei „SCHWIMMER “ und der Serie „BURKA“ Objekte und Kleidungstücke oft kaum in ihrer ursprünglichen Funktion zu erkennen sind, bleibt bei „FREMD“ für den Betrachter das ursprüngliche Objekt mit seiner menschlich besetzten Aufgabe als solches immer erkennbar. Ihre neue Lebensform unter Wasser wird somit zu einem selbstständigen Paradoxon, das Gegenstände der Zivilisation aus ihren Zusammenhang reißt und durch das Aussetzen der Elemente eine neue Funktion erfährt.
Kopfkrallen und Mannequinhände werden durch die Abwesenheit des Menschen zu Pflanzen die gleichsam nach der Oberfläche zu greifen scheinen und im Strom des Wassers schaukeln. Unheimlich und schön zugleich ist die Welt in die uns der Künstler abtauchen läßt.
Auf einer anderen Photographie gleiten Zelte wie ein Schwarm über den sandigen Boden. Mitgerissen von den Gezeiten führt uns Zink wieder zurück zum Thema der Unbeständigkeit, des erhaschten Momentes, der in der nächsten Sekunde bereits verflogen ist. Der Inhalt eines Koffer, der sich, gleichsam der Büchse der Pandora, öffnet, wird ebenso in die Weite des Meeres hinaus gerissen, wie die Seiten des Buches „Die Odyssee“ (ἡ Ὀδύσσεια).
Die menschliche Geschichte löst sich auf, wird von der Umwelt neu arrangiert, in die Weite hinausgetragen und schlägt gleichzeitig ein neues Kapitel auf.